Die Menschen mit dem langen Atem – der Kampf um die Lumdatalbahn

Der letzte Tag des früheren Personenverkehrs auf der Lumdatalbahn war der 30.5.1981. Der Text auf dem Spruchband “Heute fährt zum letzten Mal diese schöne Lumdatalbahn” lässt offen, ob die Verfasserin oder der Verfasser gegen die Einstellung protestierte oder nur auf das Ereignis hinweisen wollte. Eine tiefe Verbundenheit mit der Bahn drückt er aber allemal aus. Und etwa zehn Jahre später wurden die Stimmen lauter, die bis heute eine Wiederkehr der Eisenbahn ins Lumdatal fordern. Das Foto fertigte der viel zu früh verstorbene Erhard Hemer, ein „Urgestein“ der Gießener „Eiseboohner“ und langjähriger Vorsitzender der Oberhessischen Eisenbahnfreunde OEF. Foto: Erhard Hemer
Am 31.10.1993 fand der traditionelle Nikelsmarkt in Allendorf/Lumda statt, und erstmals seit 1980 konnten die Menschen wieder mit der Bahn anreisen. Nur Kennerinnen und Kenner der Szene wissen, welche immensen Vorarbeiten für eine solche Sonderfahrt notwendig sind. Es war damals nicht so, und es ist teilweise bis heute nicht so, dass man als Organisator einer Sonderfahrt überall auf offene Ohren stößt. Immerhin war die Bahn 1993 noch nicht in Einzelgesellschaften aufgespalten. Mit etwas Glück geriet man bei der damaligen Deutschen Bundesbahn noch an einen „Macher“, dessen Worte so einiges bewegten. Fahrdienst und Netzbetrieb lagen schließlich noch in einer Hand. Dennoch hatte man „so seine Erfahrungen“ mit der Deutschen Bundesbahn, die Erinnerungen an die Abwärtsentwicklung der Lumdatalbahn bis 1981 waren noch sehr präsent. Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum das DB-Logo überklebt war mit dem Signet des Fahrgastverbandes PRO BAHN.
Foto: Lutz Siever
Weit mehr als 1000 Fahrgäste haben die Züge den Schätzungen nach genutzt. Als Veranstalter trat der damalige Regionalverband Mittelhessen des Fahrgastverbandes PRO BAHN auf. Auch heute sind engagierte Fahrgäste aktiv. Der LB e.V. gehört dem Deutschen Bahnkundenverband an. Mit den Verbänden PRO BAHN, Pro Bahn & Bus und dem Verkehrsclub Deutschland gibt es eine aktive „Fahrgastszene“ in Hessen. Viele arbeiten auch mit in den Fahrgastbeiräten der Verkehrsverbünde oder kümmern sich in Initiativen um einzelne Strecken, wie die Horlofftalbahn, die projektierte Citybahn Wiesbaden und natürlich die Lumdatalbahn. Damit die Verkehrswende sich auf konkrete Projekte stützen kann und kein Gegenstand von Sonntagsreden bleibt.
Foto: Michael Laux
Durch den Ausbau der Klingelbachbrücke östlich von Allendorf/Lumda wurde Londorf vom Gleisnetz abgehängt. Die Sonderfahrt am 31.10.1993 zum Nikelsmarkt in Allendorf/Lumda konnte daher Londorf nicht mehr erreichen. Für die Aktiven war das sehr enttäuschend, und die ausgebaute Klingelbachbrücke geriet eine Zeitlang zum Symbol für Behördenwillkür und vertane Chancen in Sachen Lumdatalbahn. Foto: Marius Möglich
Die Klingelbachbrücke in intaktem Zustand. Wegen der geringen Höhe über dem Wasserlauf sorgte die kleine Brücke schon seit Inbetriebnahme der Bahnlinie für überproportional viel Arbeit. Die Wassermenge des kleinen Baches variiert in Abhängigkeit vom Niederschlag sehr stark. Bei Hochwasser schwemmte Treibgut an und setzte sich vor der Brücke fest, was einen Aufstau zur Folge hatte. Möglicherweise hatte die Königlich Preußische und Großherzoglich Hessische Staatseisenbahn hier doch zu viel Sparsamkeit beim Bau an den Tag gelegt. Mit etwas mehr Dammschüttung vor und hinter der Bachquerung wäre das Problem nicht entstanden. Foto: Kerstin Mähler

zum Nikelsmarkt in Allendorf 1993

So ähnlich wie in diesem Triebwagen der Frankfurt-Königsteiner Eisenbahn hat es auch bei den großen Sonderfahrten 1993 und 1996 im Lumdatal ausgesehen.
Welch ein Ereignis!
Foto: Michael Laux

Im Jahr 1995 wurde die Lumdatalbahn-Aktiengesellschaft LB AG von engagierten Bürgerinnen und Bürgern gegründet. Es war die Zeit der Regionalisierung und Liberalisierung im deutschen Eisenbahnwesen. Eine Reihe von privaten Firmen entstand für den Fahrbetrieb, einige wenige auch für den Fahrweg, die sogenannte Eisenbahn-Infrastruktur. Mit einer eigenen Bahngesellschaft einen Bahnbetrieb „von unten“ aufzubauen, das war die Vision der Aktiven in der LB AG. Erstaunlich viel Kapital wurde für diese Idee gesammelt. Die Hemmnisse für den Aufbau einer funktionierenden Eisenbahngesellschaft waren letztlich aber größer als die Arbeits- und Zeitressourcen der Ehrenamtlichen. Und es war lange unklar, ob der Rhein-Main-Verkehrsverbund Zugleistungen im Lumdatal bestellen und damit zur langfristigen Finanzierung der LB AG betragen würde. So floss das Kapital nach und nach in Gutachten zur Erlangung eines Nachweises der Förderwürdigkeit, in den Streckenerhalt und in den Wiederaufbau der Bahnsteige von Mainzlar und Daubringen. Aktivitäten der LB AG werden bis heute im Verein weitergeführt. Wie lange noch? Bis die Bahn fährt!
Sammlung Jürgen Röhrig
Am 16.8.1995 und damit noch in der Gründungsphase der LB AG kam ein zeitgemäßer Triebwagen vom Typ Regiosprinter auf die untere Lumdatalbahn. Es war erklärtes Ziel der LB AG, so oft wie möglich moderne Fahrzeuge zu präsentieren. Die Zeit dafür war günstig, denn durch die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs stellten mehrere Hersteller neue Fahrzeugkonzepte auf die Gleise. Der Regiosprinter kam von der Firma Duewag, die schon einen Teil der alten Schienenbusse VT 795 bzw. VT 798 gebaut hatte.
Foto: Jörg Reinsberg, Lollar-Ruttershausen
Dem Regiosprinter war kein großer Erfolg vergönnt, im Gegensatz zum Triebwagentyp Talent, dessen Prototyp sich am 11.6.1997 in Mainzlar präsentierte. Der Talent kam von der Waggonfabrik Talbot. Sowohl die Duewag als auch Talbot wurden noch in den 1990er Jahren in größere Konzerne eingegliedert. Ein Konzentrationsprozess im Schienenfahrzeugbau begann. Heute wird in Deutschland nur noch ein einziger Dieseltriebwagentyp in größeren Serien hergestellt, der Coradia LINT von Alstom (im Werk Salzgitter).
Foto: Jörg Reinsberg, Lollar-Ruttershausen
Unzählige Stunden haben Freiwillige seit Mitte der 1990er Jahre damit verbracht, die still liegende Lumdatalbahn von Bewuchs freizuhalten. Nur vereinzelt können dazu Aufträge an Fremdfirmen vergeben werden. Aber auch dann koordinieren Vereinsmitglieder und andere Enthusiasten die Arbeiten.
Sammlung LB e.V.
Das Jubiläum 110 Jahre Lumdatalbahn – gemeint war die westliche Lumdatalbahn zwischen Lollar und Londorf – wurde im Jahr 2012 unter anderem mit einer großen Ausstellung gewürdigt. Das Jubiläum war auch Anlass zur Herausgabe von Heft 8 der Reihe „Schriften zur regionalen Eisenbahngeschichte“ von Jürgen Röhrig, in dem die Autoren Dieter Eckert und Michael Laux die Geschichte der Lumdatalbahn erstmals zusammenhängend dargestellt haben. An der Ausstellung selbst hat auch unser Verein Lumdatalbahn e.V. mitgewirkt.
Sammlung Jürgen Röhrig
Die „Eintrittskarte“ zur Ausstellung. Erstellt wurde sie mit einem AEG-Großdrucker, Bauart S 1, Baujahr 1920.
Sammlung Richter, Buseck-Beuern

Schmaadleckershuttle 2004

Der „Schmaadlecker-Shuttle“ war eine regelmäßige Aktivität der Lumdatalbahn AG und später des Vereins Lumdatalbahn e.V.. Der geniale Name und auch das Konzept entstammen dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der LB AG, Michael Laux, der auch einige Jahre den Verein LB e.V. führte. Die Idee: Einmal im Jahr den Menschen im Lumdatal zu einem besonderen Anlass zeitgemäßen Nahverkehr präsentieren. Dazu wurden moderne Fahrzeuge gechartert, es wurde exakt im Stundentakt gefahren, und Service wurde groß geschrieben, mit Getränkeverkauf und Fahrkartenservice am Platz. In den ersten Jahren gehörte auch die „Einstiegshilfe“ noch zu den Aufgaben der Ehrenamtlichen, denn einen richtigen Bahnsteig bekamen Mainzlar und Daubringen erst wieder durch wochenlange Eigenleistung des Vorsitzenden und einiger Aktiver.
Sammlung LB e.V.
Die Triebwagenbaureihe GTW 2/6 brachte die ersten niederflurigen und – bei passenden Bahnsteigverhältnissen – barrierefreien Regionalfahrzeuge nach Mittelhessen. Die eigenwillig konstruierten Triebwagen mit dem mittig angeordneten Motor beschaffte die Hessische Landesbahn bzw. die damals noch eigenständige „Butzbach Licher Eisenbahn“ für den Regionalverkehr in der Wetterau. Für die Aktiven der damaligen Lumdatalbahn AG war es keine Frage: Ein solches Fahrzeug muss auch für den „Shuttle“ zum Einsatz kommen. Vor den Daubringer Wiesen wirkte der Zug besonders attraktiv.
Sammlung LB e.V.
Einfach mal die Bahn ausprobieren, einsteigen und losfahren. Gerne mit Mann und Maus, Kinderwagen und Oma. Das war der Schmaadlecker-Shuttle.
Sammlung LB e.V.

Schmaadleckershuttle 2009

Die Kurhessenbahn schickte 2009 einen Triebwagen vom Typ VT 628, der speziell für die Bedürfnisse von Radlerinnen und Radlern umgebaut war. Heute sind diese soliden Fahrzeuge fast komplett von Deutschlands Schienen verschwunden. Ihr Nachteil liegt in der fehlenden Barrierefreiheit.
Foto: Jörg Reinsberg, Lollar-Ruttershausen

Schmaadleckershuttle 2011

Die Fahrleistungen für den „Schmaadlecker-Shuttle“ wurden in manchen Jahren auch an die DB-Tochter Kurhessenbahn oder an die DB-Kurhessenbahn vergeben. „Die Bahn“ schickte dann die etwas älteren, aber bequem ausgestatteten Triebwagen der Baureihe VT 628, die auch schon 1993 und 1996 die Sonderverkehre bis Allendorf/Lumda absolvieren durften. Etwas ältere Lollarer Bürgerinnen und Bürger kennen den Fotostandort als „Kloppmaschin“. Das Bild entstand im Jahr 2011.
Foto: Michael Laux 

Schmaadleckershuttle 2014

In Mainzlar fanden sich am 7.9.2014 im Stundentakt die Fahrgäste ein, um für kleines Geld zum Markt nach Lollar zu reisen. Manche nutzten auch die Chance, „einfach so“ mal wieder ein Stück auf der Lumdatalbahn zu fahren. Auf dem Bild steht ein gut gefüllter „Schmaadlecker-Shuttle“ zur Abfahrt nach Lollar bereit. Foto: Gregor Börner – bundesbahn.net
Der „Schmaadlecker-Shuttle“ scheint sich hier zwischen Daubringen und Lollar ordentlich in die Kurve zu legen. Das Bild täuscht etwas über die geringe Geschwindigkeit von 30 km/h, die zuletzt auf der unteren Lumdatalbahn erlaubt war. Dennoch waren die Gäste flott auf dem Markt und auch wieder zurück. Foto: Gregor Börner – bundesbahn.net
Der Triebwagen 648 023 absolvierte den Dienst für den Verein Lumdatalbahn e.V. Dieses Fahrzeug befördert normalerweise Fahrgäste auf der Lahntalbahn, auf der Vogelsbergbahn oder auf der Rhönbahn im Auftrag des Rhein-Main-Verkehrsverbundes und unter Regie der Hessischen Landesbahn (HLB). Foto: Gregor Börner – bundesbahn.net
Das abendliche „Schmankerl“ für die Vereinsmitglieder und sonstige Aktive: Die Fahrt über Mainzlar hinaus bis zum Ende der damals betriebsfähigen Strecke östlich des RHI-Hartsteinwerkes. Foto: Gregor Börner – bundesbahn.net

Abschiedsfahrt vor der Stilllegung 2016

Die bis heute letzte Fahrt nutzte jeden Schienenmeter aus. Das Schwellenkreuz rief zusammen mit der Halt-Scheibe („Sh2-Tafel“) einige hundert Meter hinter dem Didierwerk aber definitiv zur Umkehr auf. Wobei ein „Wendepunkt“ ja nichts Schlechtes sein muss, schon gar nicht in der Verkehrspolitik! Foto: Gregor Börner – bundesbahn.net
Am 17.12.2016 veranstaltete der Verein Lumdatalbahn e.V. die bis heute letzten Zugfahrten auf der Lumdatalbahn. Den Aktiven war es wichtig, gerade in dieser Zeit nach vorne zu blicken. Deshalb bekam die Fahrt auch den Titel „Weihnachtliches Weichenstellen“ und nicht etwa „Abschiedsfahrt“. Zum Einsatz kam VT 628 223 der Kurhessenbahn. Triebfahrzeugführer war Wolfgang Rassl. Foto: Gregor Börner – bundesbahn.net
Die Sonderfahrt „Weihnachtliches Weichenstellen“ in der Ortslage von Lollar. Die neue Lumdatalbahn soll einen Haltepunkt Lollar Nord erhalten, damit die Bewohnerinnen und Bewohner den Zug auch bequem nutzen können, beispielsweise für eine schnelle Fahrt zum Gießener Innenstadt-Haltepunkt Oswaldsgarten. Foto: Walter Brück
Typisch Sonderfahrt: Die Stehplätze neben dem Triebfahrzeugführer sind weitaus begehrter als die Sitzplätze im Fahrgastraum. Der Fahrer und seine Gäste haben hier gerade das RHI-Werk im Blick, besser bekannt als Didierwerk oder „Die Schamott“. Foto: Walter Brück
Fotograf Walter Brück hat hier nicht nur die letzte Zugfahrt der alten Lumdatalbahn, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die letzten Betriebssekunden der Lichtzeichenanlage dokumentiert. Denn die neue Lumdatalbahn muss selbstverständlich den neuen Verkehrsnormen entsprechen. Die in den 1950er Jahren zum Standard erhobene „Blinklicht-Anlage“ gehört nicht mehr dazu. Nur die bestehenden Anlagen darf die Bahn noch weiterbetreiben. Dabei war das rote Blinken mit der alten elektromechanischen Warnglocke vielen Menschen bestens vertraut – und passte am 17.12.2016 irgendwie auch in die Weihnachtszeit. Foto: Walter Brück
Die Fahrgäste sind ausgestiegen und der Triebwagen VT 628 223 mit dem Taufnamen „Gemeinde Burgwald“ steht auf Gleis 11 in Lollar zur Rückfahrt nach Marburg bereit. Von dort geht es wahrscheinlich über die reaktivierte Edertalbahn nach Korbach, wo die Kurhessenbahn ihren Betriebsmittelpunkt hat. Das Beispiel Edertalbahn bestärkt uns in unserer Meinung: „Geht nicht? Gibt´s nicht!“ Die Lumdatalbahn wird wieder zu den hessischen Bahnstrecken mit Schienenpersonennahverkehr gehören. Eine gute Idee braucht einen langen Atem. Foto: Walter Brück
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